Linda Weißer ist approbierte Ärztin und leidenschaftliche Ernährungsberaterin, letzteres offline und online über ihren Blog alimonia.net.
Stefan Waller ist seit mehreren Jahren praktizierender Internist und Kardiologe und hat sich aus Leidenschaft der Vermittlung komplexer medizinischer Sachverhalte in möglichst einfacher und verständlicher Sprache gewidmet.
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Inhalt
Wussten Sie, dass weltweit gesehen bereits mehr Lebensjahre durch die Fettsucht (medizinisch Adipositas) als durch den Hunger in der Welt vernichtet werden? Die Welt wird von einer gigantischen Fettsuchtlawine überrollt. Das bleibt leider nicht ohne Folgen für unsere Gesundheit.
Beschreibung, Bedeutung & Verbreitung
Die Adipositas, auch Fettsucht genannt, ist eine Erkrankung, bei der das Fettgewebe in einem solchen Übermaß vorhanden ist, dass es zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit kommt. Man gilt als adipös bzw. fettleibig, wenn der sog. BMI (Body Mass Index, Erklärung siehe unten) über 30 kg/m2 liegt. Bei einem BMI von 25-30 kg/m2 gilt man dagegen „noch“ als übergewichtig. Adipositas erhöht das Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen, darunter vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, bestimmte Arten von Krebs, Arthrose und Depressionen.
Weltweit ist die Fettleibigkeit eine der wichtigsten verhinderbaren Todesursachen, und die Häufigkeit nimmt zu, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Im Jahr 2015 waren 600 Millionen (!) Erwachsene und 100 Millionen Kinder in 195 Ländern fettleibig. In Bezug auf die Erwachsenen sind das 12% der Bevölkerung! In Deutschland sind ein Viertel der Erwachsenen (23 % der Männer und 24 % der Frauen) adipös, übergewichtig sind sogar zwei Drittel aller Männer (67 %) und die Hälfte der Frauen (53 %). ###
Klassifikation
Übergewicht und Adipositas lassen sich in unterschiedliche Grade einteilen, denn Übergewicht ist nicht gleich Übergewicht! Außerdem gibt es verschiedene „Maßsysteme“ für die Adipositas. Dazu zählt zum einen der klassische BMI, bei dem die Körpergröße in Metern (z.B. 1,70 m) geteilt durch das Körpergewicht in kg (z.B. 75 kg) zum Quadrat genommen wird.
Außerdem gibt es noch den Bauchumfang und das Taille-Hüft-Verhältnis, also das Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang, das als besonderer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt. Das Verhältnis sollte bei Männern kleiner als 1,0, und bei Frauen kleiner als 0,85 sein. Es macht nämlich eine sehr wichtige Aussage darüber, wie das Fettgewebe im Körper verteilt ist. Ist das Übergewicht bauchbetont, was auch als sogenannter „Apfeltyp“ bezeichnet wird, birgt dies ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Denn Fett, das sich im Bauchraum bzw. den inneren Organen ablagert, wirkt selbst wie ein eigenes, entzündungsförderndes Organ. Es beeinflusst den Stoffwechsel in einer Weise, dass die Cholesterinspiegel verändert werden und eine Atherosklerose begünstigt wird. Schauen Sie hierzu unbedingt in das Video oben im Slider!
Allerdings wird mittlerweile die alleinige Messung des Bauchumfangs als ähnlich aussagekräftig oder sogar bedeutsamer angesehen als das Taille-Hüft-Verhältnis.
Hier gilt ein erhöhter Bauchumfang von 80 cm (Frauen) bzw. 94 cm (Männer) als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Er wird in nüchternem Zustand, also vor dem Frühstück gemessen, und zwar im Stehen und mit freiem Oberkörper. Es sollte leicht ausgeatmet werden. Das Maßband wird dann auf der mittleren Höhe zwischen der oberen Kante der Beckenschaufeln und der untersten Rippe angelegt.
Ursachen und Risikofaktoren
Ganz platt gesagt: Wer mehr Energie aufnimmt als er verbraucht, nimmt zu und baut Fettgewebe auf. Daher ist in den allermeisten Fällen, bezogen auf den einzelnen Menschen, die grundlegende Ursache für Übergewicht und Adipositas eine Kombination aus übermäßiger Nahrungsaufnahme und einem Mangel an körperlicher Bewegung. Eine viel geringere Anzahl als man vermuten würde lässt sich auf die Genetik, körperliche oder psychische Erkrankungen oder Medikamente zurückführen. Körperliche Erkrankungen, die Adipositas verursachen können, sind z.B. eine Schilddrüsen-Unterfunktion, Morbus Cushing (ein Übermaß am Stresshormon Cortisol) und bestimmte seltene Störungen des Zuckerstoffwechsels.
Auf der gesellschaftlichen Ebene macht man für die steigenden Zahlen an übergewichtigen und fettleibigen Menschen vor allem die leichte Verfügbarkeit von hochkalorischen Lebensmitteln und vermehrte sitzende Tätigkeiten verantwortlich. ###
Außerdem tragen folgende 10 Faktoren zu der Entstehung von Übergewicht und Adipositas bei, wie eine Studie herausfand:
- Schlafmangel
- Sogenannte endokrine Disruptoren, also Stoffe wie z.B. BPA aus Plastikverpackungen, die unseren Hormonhaushalt stören
- Gleichbleibende Temperaturen durch klimatisierte Räume
- Sinkende Raucherzahlen (ja, paradoxerweise, denn Rauchen reduziert den Appetit, dennoch bleibt natürlich Rauchen eines der größte Gesundheitsrisiken!)
- Steigender Konsum von appetitanregenden Medikamenten (z.B. bestimmte Psychopharmaka)
- Steigende Anzahl von ethnischen und Altersgruppen, die zu Übergewicht neigen
- Schwangerschaft in höherem Lebensalter (dies erhöht das Risiko für die Kinder, zu dick zu werden)
- Epigenetische Risikofaktoren (also genetische Faktoren, die durch die Umwelt verändert werden können und weitervererbt werden; z.B. erhöht eine Hungersnot bei der Elterngeneration das Risiko für Diabetes und Übergewicht bei den Kindern)
- Natürliche Selektion für einen höheren BMI (die Evolution scheint dies zu begünstigen)
- Übergewichtige/adipöse Menschen gründen eher Familien mit ebenfalls übergewichtigen/adipösen Partnern (gleiche Partnerwahl)
Die Ernährung ist natürlich nach wie vor der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas. Die gekaufte Nahrungsmenge pro Person und deren Kaloriengehalt ist weltweit drastisch angestiegen. Die USA ist hier Spitzenreiter mit mehr als 3.600 Kalorien pro Person und Tag im Jahre 1996, was sich im Jahr 2003 weiter steigerte zu mehr als 3700 Kalorien pro Person und Tag. Auch die Nahrungszusammensetzung ist entscheidend. Der Großteil des Anstiegs der Kalorien entstammt kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln, darunter z.B. gezuckerten Getränken, die in den USA insgesamt fast ein Viertel der Energie eines Tages bereitstellen. Des Weiteren ist auch der enorme Anstieg des Fast-Food-Konsums, der Portionsgrößen und der Energiedichte generell der Nahrung ein großes Problem.
In Verbindung mit einem sehr bewegungsarmen Lebensstil, wie er von einem Großteil der Bevölkerung verfolgt wird, sind die Weichen für die Entwicklung einer Adipositas bereits gestellt. So ist z.B. sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern die Zeit, die man vor dem Fernseher verbringt, mit dem Risiko für Adipositas verbunden.
Folgen für die Gesundheit
Die negativen Auswirkungen von Übergewicht und Adipositas auf die Gesundheit sind sehr vielfältiger Natur.
Ganz grundlegend verringert Adipositas die Lebenserwartung, und dies umso stärker je höher der BMI ist. Durchschnittlich senkt Adipositas die Lebenserwartung um sechs bis sieben Jahre, eine Adipositas Grad III sogar um 10 Jahre! In den USA verursacht Adipositas jährlich ca. 111.000 bis 365.000 Todesfälle, in Europa sogar eine ganze Million.
Fettsucht, Übergewicht und Diabetes (Zuckerkrankheit) bedrohen aber nicht nur uns Erwachsene, sondern zunehmend auch unsere Kinder, und das mit besonders schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen. Denn fettleibige Kinder haben, wie jetzt auch ganz neue Untersuchungen zeigen, ein deutlich erhöhtes Risiko, schon im frühen Erwachsenenalter ernsthafte Erkrankungen, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleiden.
Der gesündeste BMI bewegt sich um 20-25 kg/m2 herum. Es gibt allerdings eine Studie, die sagt, dass Adipositas Grad I, also ein BMI von 30-35 kg/m2 nicht „tödlicher“ ist als Normalgewicht, und dass Übergewicht (BMI von 25-30 kg/m2) sogar eine geringere Sterblichkeit mit sich bringe als Normalgewicht. ###
Behandlung und Vorbeugung
Eine Ernährungsumstellung und gesteigerte Bewegung sind bei Adipositas das A und O, sowohl zur Vorbeugung als auch für einen nachhaltigen Gewichtsverlust. Bestimmte Diäten können zwar meist das Gewicht über einen kurzen Zeitraum reduzieren, aber um es dauerhaft unten zu halten, bedarf es einer konsequenten und dauerhaften Veränderung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Es sind häufig kleine Mosaiksteinchen, die in ihrer Gesamtheit äußerst effektiv sind: Nehmen Sie die Treppe anstelle des Aufzugs, steigen Sie eine Busstation eher aus und laufen den Rest, lassen Sie die Margarine weg, verdoppeln Sie Ihre Gemüseportion. Dauerhaft angewendet können auch bestimmte Ernährungsformen, wie das Intervallfasten, sehr wirksam sein. Ich selber (Stefan Waller) habe mit 16:8-Intervallfasten dauerhaft > 8kg abgenommen und meine LDL-Cholesterinwerte von 156mg/dl auf 108mg/dl absenken können. Das Intervallfasten besticht in meinen Augen v.a. durch seine einfache Anwendbarkeit und seine gute Wirksamkeit! ###