Stefan Waller ist seit mehreren Jahren praktizierender Internist und Kardiologe und hat sich aus Leidenschaft der Vermittlung komplexer medizinischer Sachverhalte in möglichst einfacher und verständlicher Sprache gewidmet.
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Persönlichkeitsveränderung nach Herzinfarkt
Dein Partner, ein Elternteil oder eine andere dir nahestehende Person hat einen Herzinfarkt erlitten oder eine große Operation hinter sich gebracht und jetzt hast du das Gefühl, dieser Mensch ist irgendwie nicht mehr der Alte? Oder du bist selbst betroffen und erkennst dich nach einem Herzereignis manchmal nicht mehr wieder?
Dann bist du hier richtig. denn wir besprechen jetzt, welche Wesensveränderung nach einem Herzinfarkt oder einer Herz-OP auftreten können und wie du damit am besten umgehen kannst.
Herzinfarkt als Trauma
Ein Herzinfarkt oder eine große Herzoperation ist natürlich ein wahnsinnig traumatisches Ereignis, was das Leben bei fast jedem betroffenen Menschen erst einmal komplett durcheinander wirbelt. Nicht nur wird man oftmals zum ersten Mal im Leben mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, sondern es werden auch viele weitere Lebensfragen aufgeworfen. Oft wird die eigene Lebensplanung erst einmal komplett über den Haufen geworfen und betroffene Menschen können sich schwertun, die neue Identität als “Herzpatient” anzunehmen. Auch die Selbstwahrnehmung vieler Patienten leidet, einige sehen sich nun als schwach und verletzlich an oder befürchten einen Prestigeverlust bei anderen.
Was macht das mit der Psyche?
Neben den gerade am Anfang häufig noch im Vordergrund stehenden körperlichen Beschwerden und einer oftmals als sehr einschränkend empfundenen verringerten körperlichen Belastbarkeit dürfen auch die Auswirkungen auf die Psyche, die eine solche Lebenskrise haben kann, nicht unterschätzt werden. Auf einmal ist man mit existenziellen Lebensfragen konfrontiert wie:
- Werde ich überhaupt jemals wieder gesund?
- Wird mein Leben jemals wieder so sein, wie es einmal war?
- Werde ich wieder meine alte Leistungsfähigkeit erreichen können?
Oder du fragst dich schlicht und einfach: Wie konnte mir das passieren?
- Habe ich denn wirklich so ungesund gelebt?
- Werde ich auch in Zukunft noch für meine Familie da sein und für sie sorgen können?
- Oder werde ich am Ende nur eine Last für meine Angehörigen sein?
Daneben plagen fast jeden betroffenen Menschen auch ganz konkrete, oftmals krankheitsbezogene Ängste: Was, wenn die Erkrankung weiter voranschreitet? Können die Ablagerungen, die Plaques jederzeit wieder aufreißen und den nächsten Infarkt verursachen?
Außerdem werden oft auch Tätigkeiten eingeschränkt, die zuvor als Teil der eigenen Identität wahrgenommen wurden, wie beispielsweise Hobbys, über die man sich vielleicht auch vor dem Ereignis in seiner Persönlichkeit definiert hat.
Ständig müde, aggro oder ängstlich? 🥱 😡 🫣
Das Geschehene und die Folgen zu akzeptieren und sich entsprechend anzupassen fällt vielen Menschen sehr schwer. Dabei reagieren Betroffene häufig ganz unterschiedlich. Viele ziehen sich nach einem Herzinfarkt zurück, sind verstimmt, niedergeschlagen, antriebslos, ständig müde oder ängstlich. Andere reagieren auch vermehrt gereizt oder sogar aggressiv auf die neue, belastende Lebenssituation.
Problematisch: Vermeidungsverhalten und Rückzug
Durch Vermeidungsverhalten stabilisieren sich diese Stimmungen häufig (besonders die Ängste) und ein Gefühl von Hilflosigkeit kann sich einstellen. Im schlimmsten Fall kann es sogar zu psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen oder einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung führen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, haben Menschen mit diesen Erkrankungen dann auch wiederum ein erhöhtes Risiko, einen weiteren Herzinfarkt zu erleiden.
Warum?
Ganz einfach: Letztlich ist ja jede Form des chronischen, also dauerhaften Stresses über eine andauernde Blutdruckerhöhung, negative Einflüsse auf unseren Fett- und Blutzuckerstoffwechsel und viele weitere Folgen ein idealer Nährboden für die Arteriosklerose, die ja genau den Herzinfarkt verursacht hat.
Okay, aber jetzt mal Butter bei die Fische – was kannst du denn jetzt ganz praktisch tun, um dich oder einen dir nahestehenden Menschen aus dem Tief wieder herauszuholen?
Teile dich mit!
Eine gelungene Kommunikation ist der Schlüssel, um mit dem geschehenen Trauma wirklich fertig zu werden. Und auch für die dir nahestehenden Menschen ist ein Austausch über das Erlebte und quälende Gedanken wichtig, um zu verstehen, was in dir gerade vorgeht. Warum nicht also jeden Tag mit einem langen Spaziergang mit deiner Partnerin oder Partner beginnen, indem ihr euch auch wunderbar in tiefgehenden Gesprächen über eure Sorgen und Empfindungen austauschen könnt und auch unangenehme Themen nicht vermeidet. Dabei schlägst du auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, denn auch die körperliche Aktivität hat eine starke therapeutische Wirkung. (siehe hierzu mein Videointerview Psyche nach Herzinfarkt mit Prof. Köllner). Denn Erholung heißt nicht auf Bewegung verzichten. Im Gegenteil, aktive Erholung und Bewegung ist genau das, was in aller Regel auch dein Herz am dringendsten braucht. Und Bewegung hilft nicht nur beim Stressabbau und deinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen, sondern ist auch mit das beste Antidepressivum, was man gerade in einer solchen Belastungssituation natürlich wunderbar nutzen kann und sollte.
Wie du schon siehst, auch wenn eine gewisse Charakterveränderung nach einem Herzinfarkt normal und verständlich ist, ist es sehr wichtig, jegliche Form von Vermeidungsverhalten, sowohl auf körperlicher als auch auf emotionaler Ebene, zu verhindern. Denn in den meisten Fällen macht es das auf lange Sicht nur schlimmer.
Ganz wichtig ist aber auch wirklich offen und ehrlich mit dir selber zu sein. Wenn du spürst, dass du aus dem Tief nicht alleine rauskommst, dann nimm frühzeitig professionelle Hilfe wahr. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ganz im Gegenteil ein Akt der Selbstliebe und ist das Beste, was du für dich und deine Angehörigen tun kannst. Und sei dir bewusst, dass du damit nicht alleine bist – fast die Hälfte aller Menschen haben nach einem Herzinfarkt zumindest eine depressive Episode. Glücklicherweise ist die Psychotherapie beziehungsweise die Verhaltenstherapie eine der wirksamsten und gleichzeitig nebenwirkungsärmsten medizinischen Behandlungsverfahren überhaupt. Worauf wartest du also?
Nutze die Chance!
Auch wenn ein Herzinfarkt zunächst einmal ein schreckliches Ereignis darstellt, gehen mit all diesen Schwierigkeiten und Herausforderungen auch viele Chancen einher. Viele empfinden nach einem überlebten Ereignis eine ganz neue, intensive Dankbarkeit für ihr Leben und entwickeln einen neuen Blick für das wirklich Wichtige im Leben. Durch die Bewältigung der Krise wird das Gefühl der eigenen Resilienz gestärkt und auch Beziehungen zu Angehörigen können aus einer solchen Bewährungsprobe gestärkt hervorgehen.
Außerdem wird nun der bisherige Lebensstil häufig kritisch hinterfragt und gesundheitsschädigendes Verhalten nicht mehr verleugnet. Die Konsequenz ist eine neu gewonnene Motivation für Veränderung und bringt viele dazu, gesünder zu leben und ihr Leben insgesamt neu zu gestalten.
Auch hast du die Chance, neue erfüllende Tätigkeiten zu finden, die ungesunde Gewohnheiten oder vielleicht Hobbys, die nach einem Herzereignis nicht mehr ausgeführt werden können, ersetzen. Vielleicht gibt es etwas, das du schon immer ausprobieren wolltest? Eventuell ist jetzt wider Erwarten genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Um die Folgen des Herzinfarkts in eine solche positive Richtung zu lenken, braucht es jedoch häufig Unterstützung. Genau das bieten wir dir in meinem Herz-Coaching, in dem wir gemeinsam alle notwendigen Schritte gehen, um dich sowohl körperlich als auch psychisch so gesund wie möglich aus der Krise hervorgehen zu lassen. So kannst du die Chance nutzen, aus einem vermeintlichen Schicksalsschlag vielleicht eine großartige Lebensveränderung zu machen.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Persönlichkeitsveränderung nach Herzinfarkt
Ein Herzinfarkt ist ein traumatisches Ereignis, das viele Betroffene psychisch stark belastet. Neben existenziellen Ängsten und Sorgen um die Zukunft können auch Gefühle von Hilflosigkeit, Niedergeschlagenheit und Rückzug auftreten. Doch mit der richtigen Unterstützung und einem aktiven Umgang mit den eigenen Emotionen kann diese Herausforderung auch eine Chance sein, das Leben neu zu gestalten und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Ja, nach einem Herzinfarkt können sich viele Menschen in ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Verhalten verändern. Sie werden oft zum ersten Mal mit ganz neuen, existenziellen Fragen konfrontiert und müssen sich an die neue Situation anpassen, was auch emotionale und mentale Veränderungen mit sich bringen kann.