Stefan Waller ist seit mehreren Jahren praktizierender Internist und Kardiologe und hat sich aus Leidenschaft der Vermittlung komplexer medizinischer Sachverhalte in möglichst einfacher und verständlicher Sprache gewidmet.
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Entzündungshemmung – Neue Waffe im Kampf gegen Herzinfarkt, Arteriosklerose und Co.?
Kennst du den größten Killer auf unserem schönen Planeten? Es ist die Arteriosklerose, im Volksmund als Arterienverkalkung bekannt.
Der Skandal dabei ist, dass wir die Möglichkeiten hätten, die allermeisten Komplikationen der Arteriosklerose wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Co. zu verhindern, denn 9 von 10 Herzinfarkten wären vermeidbar, insbesondere durch unseren Lebensstil.
Warum tun wir es nicht?
Den meisten von uns fällt bei Arteriosklerose vor allen Dingen das Cholesterin ein, welches eine sehr wichtige Rolle bei der Arteriosklerose spielt. Ich zeige euch aber einen weiteren extrem spannenden und wirksamen Behandlungsansatz der Arteriosklerose – die sogenannte Anti-Inflammation!
Alter Gedanke – neu umgesetzt
Schon der gute alte Rudolph Virchow, der seiner Zeit weit voraus war, wusste, dass die Arteriosklerose letztlich eine entzündliche Erkrankung unserer Arterienwände ist. Aus unerfindlichen Gründen wurde jedoch das Konzept einer zielgerichteten Entzündungshemmung zur Behandlung der Arteriosklerose lange Zeit verworfen und erst in den letzten Jahren wieder aktiver beforscht.
Denn auch wenn wir wissen, dass das LDL-Cholesterin, das auslösende “Agens” für den Entzündungsprozess in der Arterienwand ist und dass es ohne LDL-Cholesterin auch nicht zu einer Arteriosklerose kommt, so ist es dennoch so, dass wir trotz einer maximalen LDL-Cholesterin-Senkung weiterhin ein nicht zu vernachlässigendes Restrisiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Co. zurückbehalten, das sogenannte “residuelle Risiko”.
Und hier kommt die Entzündungshemmung, medizinisch die Anti-Inflammation, ins Spiel.
Denn wir wissen aus Studien, dass Entzündungsprozesse, die sich in messbar erhöhten Entzündungswerten im Blut (z.B. dem sog. CRP-Wert) widerspiegeln, bei bereits mit Statinen behandelten Patienten zukünftige Herzinfarkte und weitere Herz-Kreislauf-Komplikationen besser vorhersagen können als das LDL-Cholesterin.
Gamechanger Colchicin?
So, und jetzt hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA das erste Medikament zugelassen, das speziell auf eben Entzündungsprozesse in der Arterienwand abzielt.
Das ist ein wirklich neuer Behandlungsansatz, der die Behandlung der Arteriosklerose zusätzlich zur Absenkung des Cholesterinspiegels erweitern, vielleicht sogar revolutionieren wird.
“Neu” ist allerdings relativ, denn das hoffnungsvolle “neue” Medikament ist eigentlich ein ganz “alter Hut”, ein Wirkstoff, der schon seit einer gefühlten Ewigkeit in der Medizin eingesetzt wird: Colchicin, das Gift der Herbstzeitlosen, das allerdings bislang bei einer ganz anderen Erkrankung, nämlich der Gicht, angewendet wurde.
Und dieses Colchicin konnte nun in Studien zeigen, dass es in einer sehr niedrigen, gut verträglichen Dosis von 0,5 mg täglich das Risiko einer erneuten Herz-Kreislauf-Komplikation wie Herzinfarkt oder Schlaganfall deutlich senken kann.
Die Studie, der das “neue” Medikament auch seinen Namen verdankt, ist die LODOCO-Studie. Sie wurde mit 5.522 Patienten mit koronarer Herzkrankheit durchgeführt, die alle schon in Genuss einer vorbildlichen medizinischen Versorgung inklusive Statinen waren.
0,5 mg Colchizin tgl. konnten bei diesen Menschen das Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder notwendige Herzkatheteruntersuchungen im Vergleich zur Placebogruppe signifikant um 31% reduzieren.
Jetzt fragst du dich vielleicht: Ist das vielleicht auch etwas für mich?
Wie immer in der Medizin wird man natürlich erst einmal vorsichtig mit neuen Behandlungsansätzen sein und niedrig dosiertes Colchicin v.a. bei Patienten einsetzen, die wir als “frequent flyer” bezeichnen.
Das sind Menschen, die trotz einer aktuellen Behandlung nach allen Regeln der ärztlichen Kunst, also trotz aggressiver Cholesterinsenkung, immer wieder Komplikationen erleiden und bei denen anhand erhöhter Entzündungswerte auch tatsächlich eine vermehrte entzündliche Aktivität nachweisbar ist.
Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit zunehmender Erfahrung, die wir mit diesem Wirkansatz sammeln, eine solche entzündungshemmende Behandlung bald zum breiten Therapiestandard werden könnte.
Medicine 2.0
In jedem Fall sind wir mit diesem Behandlungsansatz einen weiteren großen Schritt in Richtung “precision medicine” gegangen, also einer individuell massgeschneiderten Medizin anstatt einem Gießkannenartigen “one size fits all”-Ansatz, wie wir ihn heute noch häufig praktizieren.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Entzündung und Herzinfarkt
Entzündungen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Herzinfarkten. Sie können zu Ablagerungen in den Arterienwänden führen, die platzen und Blutgerinnsel bilden, die die Arterien blockieren. Entzündungen erhöhen auch das Risiko von Plaque-Wachstum und Bluthochdruck. Die Entzündungshemmung wird als Ansatz zur Vorbeugung von Herzinfarkten mehr und mehr erforscht.
Colchicin ist ein Medikament, das in diesem Zusammenhang als entzündungshemmendes Medikament eingesetzt wird. Es kann die Entzündungsreaktionen im Körper reduzieren, insbesondere in den Arterienwänden. Dies kann dazu beitragen, das Risiko von Herzinfarkten und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verringern, indem es die entzündlichen Prozesse beeinflusst, die zur Plaque-Ruptur und zur Bildung von Blutgerinnseln führen können. Colchicin wurde in klinischen Studien untersucht und hat gezeigt, dass es das Risiko von Herz-Kreislauf-Komplikationen senken kann. Es ist ein vielversprechender Ansatz zur Entzündungshemmung bei der Prävention von Herzinfarkten
Zusätzlich zu Entzündungen spielen auch andere Faktoren eine Rolle bei der Entstehung von Arteriosklerose, darunter Rauchen, hoher Blutdruck, Diabetes, Übergewicht und genetische Veranlagung. Diese Faktoren können Entzündungen fördern und die Bildung von Plaques in den Arterienwänden begünstigen, was das Risiko von Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht. Daher ist die Entzündungshemmung ein wichtiger Ansatz zur Prävention von Arteriosklerose.